„Lebendiger Gott“ gegen Tod und Zerstörung – Jürgen Moltmann vor der Generalversammlung der Reformierten Kirchen

Stephen Brown

Ohne Zukunftsvision werden neue wissenschaftliche und technologische Möglichkeiten für Tod und Zerstörung der Menschheit missbraucht, so der deutsche Theologe Jürgen Moltmann vor der Generalversammlung der Reformierten Kirchen.

“‘Fülle des Lebens‘ heißt die Zukunftsvision, die weit über das Mögliche hier hinausreicht – bis ins ewige Leben“, erklärte Moltmann den Delegierten der Weltgemeinschaft
der Reformierten Kirchen (WGRK), die sich vom 29. Juni bis 7. Juli in Leipzig treffen.

Beinahe 50 Jahre nachdem Moltmann zum ersten Mal bei einer Generalversammlung des Reformierten Weltbundes – Vorgänger der WGRK – in Nairobi, Kenia im Jahr 1970 gesprochen hatte, legte er in Leipzig sein Vertrauen auf den „lebendigen Gott“ dar, der vor den Fratzen der „Götter des Todes“ Leben hervorbringt und angesichts des Atheismus Freude schafft. Als Vision der Zukunft bietet er die Fülle des Lebens.

Jeder Mensch, der dem lebendigen Gott vertraut, sieht in der Welt nicht nur die Realität“, meinte Moltmann. „Realisten haben diese Sichtweise und sie kommen immer zu spät. Jeder, der der Zukunft vertraut, sieht die Welt gemäß ihren Möglichkeiten.“

Als Beispiel für die “Götter des Todes” nannte Moltmann Rassismus, Krieg, Nationalismus, Kapitalismus, der Reichtum verspricht und Armut schafft, und den Terror von unten, von den „suizidalen Massenmördern“, motiviert durch eine „Religion des Todes“.

Moltmann, heute 91 Jahre, wurde zunächst als reformierter Theologe 1964 mit seiner bahnbrechenden Veröffentlichung Theologie der Hoffnung bekannt. Hier ging es um Hoffnung für die noch nicht erreichte Zukunft, die im Lichte der Verheißungen Gottes zu stets neuen Impulsen für Gerechtigkeit, Freiheit und Menschlichkeit in der heutigen Welt führt.

Seither beschäftigt er sich in seinen theologischen Abhandlungen u.a. mit Fragen der Schöpfung und Ökologie, Befreiung und feministischen Theologie und dem Wirken des Heiligen Geistes.

“Der Schrei nach Gerechtigkeit kommt immer zu spät, wenn durch Gewalt und Unrecht das Leben von gefährdeten Menschen unerträglich wird; aber er muss kommen“, stellte Moltmann fest, der in Leipzig vom Generalsekretär der WGRK Chris Ferguson für seinen lebenslangen Beitrag zur reformierten Theologie geehrt wurde.

“Deshalb werden wir zu Suchern nach Möglichkeiten für Leben und Gerechtigkeit und wir werden die zu erkennenden Optionen für Tod und Vernichtung vermeiden“, betonte Moltmann in seiner Rede, in der er die zunehmende Ungleichheit innerhalb von Gesellschaften anprangerte.

“Alle Völker leiden heute an sozialer Verarmung und schreien nach sozialer Gerechtigkeit.“ sagte Moltmann. Demokratie basiert nicht nur auf der Freiheit der Staatsbürger, so Moltmann, sondern auch auf ihrer Gleichheit.

“Die demokratische Idee der Gleichheit ist unvereinbar mit einem Wirtschaftssystem, das noch größere Ungleichheit innerhalb der Völker schafft“, fuhr er fort.

Er lobte die WGRK für das Accra-Bekenntnis von 2004, das zu einer Glaubensverpflichtung angesichts der wirtschaftlichen Ungerechtigkeit und ökologischen Zerstörung aufrief.

In dieser Erklärung “tritt dem ‘Gott des Kapitalismus‘ das Bekenntnis zum lebendigen Gott entgegen“, sagte Moltmann, „und der Ruf nach Gerechtigkeit für die Armen und die Erde ergeht weltweit und zielt auf die wirtschaftliche und finanzielle ‚Globalisierung‘.“

Trotzdem warnte er, dass die Sorge um die Opfer der Ungerechtigkeit im Zentrum der reformierten Theologie fehle. „Wir beten ‚vergib uns unsere Schuld‘, aber wo sind die Opfer unserer sündhaften Taten?“ fragte Moltmann und betonte: „An erster Stelle steht nicht die Reue der Täter, sondern der Schmerz der Opfer.“

“Gottes Gerechtigkeit ist keine Gerechtigkeit, die nur Gut und Böse definiert”, stellt Moltmann fest. „Sie ist eine kreative Gerechtigkeit, die Recht schafft. Für die Opfer ist sie eine Gerechtigkeit, die ihnen Recht bringt. Für die Übeltäter ist sie eine Gerechtigkeit, die das Recht wieder einsetzt und Dinge ins Recht rückt.“

Die WGRK besteht aus mehr als 225 protestantischen Kirchen mit einer Mitgliedergesamtzahl von über 80 Millionen Christen. Diese sind Kongregationalisten, Presbyterianer, Reformierte, Waldenser, sowie Unierte und sich vereinigende Kirchen in über 100 Ländern. Die Geschäftsstelle befindet sich in Hannover, Deutschland.

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